Die drei Siebe
Liebe Leserinnen und Leser,
zum weisen Sokrates kam jemand voll Aufregung gelaufen:
„Höre, Sokrates, das muss ich dir erzählen: Dein Freund…“
„Halt ein!“, unterbrach ihn der Weise, „Hast du, was du mir erzählen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“
„Drei Siebe?“ fragte der andere.
„Ja, drei Siebe! Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du geprüft, ob auch wirklich wahr ist, was du mir erzählen willst?“
„Nein, ich hörte es jemanden erzählen.“
„So, so! Das zweite ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst, wenigstens gut?“
Zögernd sagte der andere: „Nein, das eigentlich nicht, im Gegenteil…“
„Hm“, unterbrach ihn Sokrates, „So lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden: Ist es notwendig, mir das zu erzählen, was dich so erregt?“
„Notwendig nun gerade nicht…“
„Also,“ lächelte der weise Sokrates, „wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr noch gut noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“
Wir können sprechen, und wir müssen sprechen – das gehört zu unserem Mensch-sein. Wir wissen, wie gut ein aufmunterndes Wort zur rechten Zeit wirken kann. Wir wissen aber auch, wie sehr wir einander mit Worten verletzen können.
Immer wieder einmal fällt mir diese Geschichte mit den drei Sieben ein, die Sokrates zugeschrieben wird: ist es wahr, gut und notwendig, was wir alle Tage sagen – oft über andere? Blieben manche Worte nicht besser ungesagt? Der Dichter Matthias Claudius, von dem das wunderbare Lied „Der Mond ist aufgegangen“ stammt, hat am Ende seines Lebens Gedanken „An meinen Sohn Johannes“ aufgeschrieben. Darin findet sich der schöne Satz: „Wisse immer, was du sagst, aber sage nicht alles, was du weißt“ Und als Jesuswort wird im Matthäusevangelium überliefert: „ Eure Rede sei ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.“ ( Matthäus 5, 37).
Ich wünsche Ihnen wie mir, dass uns zur rechten Zeit die drei Siebe einfallen: Ist das, was ich sage, wahr, gut, notwendig? Ich wünsche Ihnen wie mir jeden Tag ein gutes, aufmunterndes Wort, mit dem ich mich angenommen fühle. Ich wünsche uns, dass wir uns auf die Worte, die wir sprechen, verlassen können.
Ich grüße Sie herzlich,
Ihr Pastor Wolfram Bach