Lightfall – Fallendes Licht
Worte von Landesbischof Ralf Meister
Weihnachten 2017
Es muss dunkel sein, damit man sie sehen kann. Die Lampen in der Johanneskirche in Freiburg sind gelöscht. Nur im Altarraum brennen Kerzen. Plötzlich erscheinen Buchstaben an den Wänden. In unterschiedlichen Geschwindigkeiten sinken sie von der Decke herab, gleiten an den Mauern des Chorraumes nach unten. Es braucht eine Weile. Doch dann werden aus Buchstaben Worte: „Mut“ – „Hoffen“ – „Träumen“ – „Wunder“. Große Worte. Deutungsoffen, damit jeder und jede anderes damit verbinden kann. Eine Installation des Schweizer Lichtkünstlers André Bless. „Lightfall“ (Fallendes Licht). Leuchtende Wortfäden, die die Besuchenden der Kirche mit ihren Blicken zum Altar ziehen.
Worte, die Licht ins Dunkel bringen. Heute Abend hören wir sie wieder. Worte, die uns in vergangene Zeiten zurückführen: „Krippe“, „Herberge“, „Hirten“, „Engel“. Wir hören die Worte, und schon steht die ganze Weihnachtsgeschichte vor unseren Augen. Es sind alte Worte, aber sie werfen ihr Licht bis heute in unsere Welt und führen unseren Blick in eine bestimmte Richtung. Wir lernen nicht nur aus unseren eigenen Irrtümern, Niederlagen und Erfolgen. Wir lernen auch aus den Ängsten und Hoffnungen der Menschen aus anderen Zeiten. Und so gibt es Worte, Bilder und Erzählungen, die uns unsere Welt aufschließen. Unser eigenes Herz ist zu klein, um unsere Hoffnung und unsere Träume auf Dauer zu bergen.
Die Weihnachtsgeschichte ist eine alte und zugleich aktuelle Trost-Erzählung, alle Jahre wieder. Sie malt für uns aus, was wir selbst noch nicht leben und manchmal auch nicht glauben können. Sie wirft leuchtende Wortfäden, die sich durch unseren Alltag ziehen. Sie erzählt uns von einem hilflosen Kind, einer unerfahrenen Mutter, von furchtsamen Hirten. Damit heiligt sie das Kleine und achtet Geringes, das in uns lebt. Sie nimmt unsere Ängste auf und stellt sie unter das Wort der Engel: „Fürchtet euch nicht“. Sie weist uns hin auf den Blick der Güte, der seit
dieser Nacht auf unserem Leben ruht. Die Erzählung von der Geburt des Gotteskindes gibt all den Worten einen Ort, die für unser Leben wichtig sind: Gerechtigkeit, Mitleid, Barmherzigkeit, Trost. Sie ermutigt uns, diese Worte in den Mund zu nehmen für die Stummen und für die Sache derer, die verloren sind.
„Mutter, sag was, es ist so dunkel“, fleht das ängstliche Kind im finsteren Zimmer in der Nacht. „Warum soll ich denn etwas sagen?“ fragt die Mutter. „Wenn Du redest, wird es hell“. Auch durch unsere Worte kommt Licht in die Welt. „Träumen“ – „Hoffen“ – „Wunder“ – „Mut“ – die Worte, die in der Freiburger Johanneskirche an den Wänden hinabsanken, bleiben keine leeren Verheißungen. Es sind Worte, die in dieser Weihnachtsnacht erfüllt werden. Gott wirkt in unseren Herzen und in dieser Welt.
Mögen diese Worte auch in Ihrem Leben leuchten.
Friede sei in Ihren Häusern.
Ihr Ralf Meister