Impuls von Pn. Schumacher zum Sonntag, 5. April 2020
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
heute geht es um unsere Kleidung. Erst vor ein paar Wochen habe ich meinen Kleider-schrank durchsortiert. Ich weiß, dass viele von Ihnen und euch das auch getan haben, denn ich habe die vielen Säcke mit Kleidung als Spenden im Anhänger der Organisation Spangenberg vor unserer Kirche gesehen. Ich selbst habe zwei Säcke mit Schwung in den Hänger geworfen. Nun sieht mein Kleiderschrank wieder etwas übersichtlicher aus. Und aufgrund der momentanen Einkaufssituation, bleibt das auch erst einmal so. Und was soll ich sagen…ich finde das gut so! Ich mag es, wenn mein Kleiderschrank übersichtlich aussieht. Irgendwie ist das sogar ganz schön befreiend. Ich muss mich nicht ständig erst an dieser oder jener Bluse vorbei schummeln, die ich ja eigentlich noch aufbewahren wollte, weil die Zeit ja vielleicht doch noch einmal kommt, dass sie wieder passen wird. Seien wir ehrlich: Eigentlich tragen wir doch eh meist immer die gleichen, geliebten Kleidungsstücke. So geht es mir jedenfalls.
Viele Menschen betreiben schon seit langem die Strategie „Simplify your life“. Dabei geht es darum, Struktur und Organisation in das äußerliche Leben und den Alltag zu bringen, um letztlich einen Blick für sich selbst zu bekommen. Platt gesagt: Ordnung in sämtlichen Bereichen des Lebens schaffen, damit ich mich selbst bzw. auf mich selbst sehen kann.
Ich finde das eine gute Herangehensweise, um sich selbst zu erden. Dinge zu klären und nicht einfach laufen zu lassen. Gerade in diesen Tagen fällt mir so etwas leichter als sonst. Ich merke, dass ich aufgrund der Einschränkungen unseres momentanen Lebens, viel mehr Muße dafür habe, mich schon lange aufgeschobener Dinge zu widmen. Dabei sind das nicht nur lästige Aufgaben. Auch schöne Ideen können endlich mal Realität werden. Bei mir sind es die Fotoalben, denen ich mich nun immer wieder widme. Struktur und Klarheit. Ordnung schaffen. Das ist für mich gerade ganz wichtig. Äußere Ordnung, damit in mir selbst Klarheit entstehen kann, die ich in diesen aufgeregten Zeiten unbedingt brauche.
Zu Beginn dieses Briefes schrieb ich davon, dass es heute um Kleidung geht. Das meinte ich auch so. Heute – an Palmsonntag und der Woche danach – geht es um die Erzählung des Einzuges in Jerusalem. Und da geht es tatsächlich um Kleidung. Jesus macht sich auf den Weg in die Stadt, in der alles sein Ende nehmen würde. Es ist ein bewusster Weg, den Jesus da auf sich nimmt. Ich glaube, er hat für sich ganz klar, was dort zu tun und zu lassen sei.
Wie er in die Stadt hineinkommt, ist spektakulär. Dass er bald eintreffen würde, war für die Bewohner Jerusalems gewiss. Es hatte sich rumgesprochen, dass dieser Mann, der nun so viele Wunder getan hatte und der sich so oft mit seinen Glaubensbrüdern und den Schriftgelehrten angelegt hatte, nun bald ankommen sollte. Und so liefen die Menschen aus Jerusalem Jesus entgegen, der sich dazu auf einen jungen Esel setzte. Eine alte Prophezeiung wurde damit erfüllt: Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin. (Sacharja 9,9)
„Hosianna“, riefen die Menschen. „Hosianna!“ Und sie nahmen ihre Kleidung und legten sie auf den Weg. Jesus ritt mit dem Esel über die Stoffe.
Würde diese Erzählung hier enden, könnte man denken, dass dies der krönende Abschluss der Geschichte um Jesus sei. Ein schönes letztes Bild in der allerletzten Filmszene: Der große König zieht in sein Königreich ein. Alle lieben ihn. Alle erfreuen sich an ihm. Ende.
Doch weit gefehlt. Die Stimmung würde, soviel wissen wir genau, schnell kippen. Nur eine kurze Zeit später würde das eintreten, wovon Jesus gepredigt hatte. Er wusste es. Auch schon längst in dem Moment, als die Menschen aus Jerusalem noch ihre Kleider als Zeichen der Verehrung vor die Hufe des Esels legten. Und trotzdem ritt Jesus weiter. Und ich glaube, er wird trotz seines Wissens auch gelächelt haben. Er wird vielleicht den Kindern gewunken haben und genickt haben. Wird dem ein oder der anderen gedankt haben. Tief in die Augen der Menschen geschaut haben.
Menschen nehmen ihre Kleider und legen sie auf den Boden. In den Sand, in den Dreck, damit der König auf einem einfachen Eselchen darüber schreiten kann. Das muss ein Bild gewesen sein, dass den Schriftgelehrten und den Hohepriestern gewaltig gegen den Strich gegangen ist. ‚Was maßte sich dieser Jesus damit an?‘
Am heutigen Sonntag, dem letzten Sonntag bevor Jesus ans Kreuz geht, ist trotz aller Unruhe im Herzen der Jünger und aller Wut in den Bäuchen der Schriftgelehrten, trotz aller Klarheit der Worte Jesu über das baldige Leid, trotz all unserem Wissen, wie es weiter gegangen ist, die Welt noch ein Stück weit in Ordnung. Wir wissen bereits, dass da etwas lauert. Wissen, dass da Schmerz und Leid, Gewalt und Unrecht warten, und doch rufen wir mit den Menschen damals noch einmal „Hosianna“. Vielleicht auch gerade weil wir um den weiteren Verlauf wissen. Weil wir die Nacht aber auch den Sonnenaufgang von Ostern schon erkennen können. Welch ein Segen wir damit den Begleitern Jesu da schon voraus haben.
Ich finde, dass diese Erzählung des Einzugs in Jerusalem, die viele von Ihnen und euch schon als Kinder kannten, in diesem Jahr ganz anders klingt als sonst. Jedenfalls geht es mir so. Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich etwas mehr „aufgeräumter“ bin als sonst. Dass ich klarer und bewusster auf viele Dinge schaue. In diesem Jahr ist Palmsonntag für mich zugleich der Anfang einer sehr harten Woche, einer Woche, die in meinem Alltag ebenso getrieben ist von Sorge und Bildern aus den Medien, die mir schmerzlichst zu Herzen gehen. Und zugleich ist Palmsonntag für mich der Sonntag, an dem ich schon vorausblicke auf all das, was danach kommen wird. Auf das Licht. Auf die Wärme. Auf das Leben!
Und darum stimme ich heute und auch morgen ein in das „Hosianna“. Denn ich bin mir gewiss, dass Jesus auch in mein und in dein Leben kommt – gerade dann, wenn es schmerzt, gerade dann, wenn ich ihn brauche.
Bleiben Sie und bleibt ihr behütet!
Ihre und eure Pastorin Sina Schumacher