Impuls für Sonntag, den 26. April 2020
Liebe Leserinnen und Leser, liebe Gemeindeglieder,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben,
ich frage mich, wie es Ihnen und euch wohl geht: Kommt langsam Ungeduld auf? Hat man es langsam satt, nicht Dinge so machen zu können, wie man es gewohnt ist?
Geduld… die wird dieser Tage auf die Probe gestellt. Jedenfalls empfinde ich das so. Geduldig sein bedeutet für mich, immer wieder tief einzuatmen. Mich immer wieder zu bremsen. Immer wieder nachzudenken und mir selbst sagen: „Sina, da kommen auch wieder andere Zeiten!“
Geduld. Umgangssprachlich wird es oft synonym für „Ruhe bewahren“, „gelassen bleiben“ und „Ausdauer bewahren“ gebraucht.
Manche Menschen brauchen schon allein aus beruflichen Gründen diese oft als Tugend bezeichnete Geduld. Immer dann, wenn sie möchten, dass Menschen etwas lernen, das sie selbst schon längst können, verlangt es Geduld von ihnen ab. Immer dann, wenn sie in Zeitnot sind, das Gegenüber aber noch etwas loswerden will, der nächste Termin schon wartet, verlangt es Geduld. Sicherlich kennt das jeder von Ihnen und euch aus verschiedenen Kontexten…auch aus dem privatem.
Geduldig sein hat etwas an sich, das uns irgendwie inaktiv macht. Das uns dazu zwingt, eine Situation auszuhalten. All das, was wir vielleicht vorschnell tun wollen, zu verlangsamen. Geduldig sein verlangt so viel von uns Menschen ab, denn unsere Natur ist doch eigentlich das Gegenteilige…jedenfalls für die meisten Menschen: „Ich nehme mein Leben selbst in die Hand!“, sagt der eine. „Ich entscheide selbst, was mir gut tut oder was mir schadet!“, sagt ein anderer. Ja, es ist nicht einfach mit der Geduld, nicht einfach damit, sie zuzulassen.
Dabei bedeutet geduldig sein eigentlich nicht, die Hände in den Schoß zu legen, gänzlich inaktiv zu werden. Denn auch ein „Aushalten“ ist nicht passiv. Wenn ich etwas aushalte, dann nehme ich die Situation an und versuche mit aller Kraft, aktiv, diese Situation zu verstehen, zu durchleben, zu (er-)tragen.
Eines meiner persönlichen Bilder eines geduldigen Menschen ist ein ganz altertümliches. Ich mag das Bild sehr. Es strahlt so viel Ruhe aus – die ich meist weniger besitze – und lässt automatisch beim Gedanken daran meinen Puls ruhiger schlagen. Mein Bild für Geduld ist das Bild eines Schäfers. Ein Schäfer, der inmitten seiner Schafherde steht und auf seinen Stab gestützt alles im Blick hat.
Ich gebe zu, allzu oft sieht man diesen Schäfer heutzutage nicht mehr auf den Feldern. Das letzte Mal, dass ich eine große weidende Schafherde sah, ist schon ein gutes Jahr her.
Und doch, neben all dieser Romantik, die in diesem Bild so mitschwingt, glaube ich, dass der Schäfer große Geduld mit seinen Schafen hat. Eine Geduld, die nicht darauf beruht, einfach auszuruhen und zu warten, bis alle Schafe gescherrt werden können. Sondern eine Geduld, die ein Auge auf die Bedürfnisse der Schafe, aber auch auf die mitarbeitenden Hirtehunde hat.
Der heutige Sonntag wird auch der Hirtensonntag genannt. Psalm 23, der wohl bekannteste Psalm aus der Bibel, steht heute im Mittelpunkt. In ihm geht es um uns und um Gott. Die Beziehung zueinander, die in Bildern ausgemalt wird. Gott als der gute Hirte:
Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.
Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang,
und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar. (Psalm 23)
Wie oft wurde dieser Psalm wohl schon in Krisenzeiten gesprochen. Die meisten Konfirmandinnen und Konfirmanden aus allen Jahrgängen haben diesen Vers auswendig gelernt. So manch einem hat er – so haben es mir schon viele berichtet – in Zeiten der Sprachlosigkeit Worte verliehen, die man selber nicht mehr finden konnte. Gegen die Angst und so manches mal auch gegen Lärm und Kriegsterror haben Menschen ihn gesprochen. Laut und Allem zum Trotz, gerade weil man sich die Worte auch noch einmal selbst zusprechen wollte. Als Versicherung.
Auch ich habe das schon getan, als ich kaum noch Worte fand. Wohl auch darum mag ich das Bild des Schäfers oder des Hirten sehr. Gerade weil diese fast romantische Schäferidylle nicht wirklich immer der Realität entspricht. Denn der Schäfer muss aufpassen – der Hirte verteidigt seine Schafe mit Stecken und Stab! Der Schäfer muss seine Schafe zu Weidegründen und zu frischem Wasser leiten – der Hirte erquickt seine Schafe…auch seelisch. Und zu guter Letzt gibt es nichts, was das Schaf vom Hirten trennen kann, denn es wird immer zu ihm gehören.
In Psalm 23 sind wir Menschen die Schafe. Gott ist unser Hirte. Es ist ein Bild, das sicherlich von einer Abhängigkeit spricht, in der ich mich gut wiedererkennen kann. Denn gerade in diesen Zeiten merke ich ja eben: Ich habe absolut nicht alles in der Hand! Ich brauche gerade jetzt einen festen Bezugspunkt, der mich erdet und meine zum Teil aufgerührten Gedanken entschleunigt.
Ich wünsche mir, dass ich – als Schaf – so manches mal mehr von meinem Hirten abschauen könnte. Davon wie er jedes Schaf mit gleicher Liebe und Leidenschaft anschaut. Davon wie er dem Verlorengegangen nachläuft. Davon wie er nicht müde wird, für alle seine Schafe zu kämpfen. Und nicht zuletzt wünsche ich mir mehr von der Hirtengeduld, die nicht gleichgültig und ohnmächtig vor sich hin siecht, sondern sich aktiv zurückhalten kann, um Freiräume zu lassen, Schutz zu bieten und Verantwortung zu tragen. Hirtengeduld, die genau hinschaut und abwägen kann. Die einen klaren Blick auf meine und auf die Bedürfnisse meines nächsten (Schafes) hat.
Geduldig sein. Das ist eine Aufgabe, vor die wir momentan gestellt sind. Geduldig mit den Menschen um uns herum, mit der Politik, mit der Wirtschaft, mit der Medizin und nicht zuletzt mit uns selbst. Ich wünsche uns für die kommende Woche, aber auch für die Zeit danach: Geduld…Hirtengeduld…selbst dann, wenn wir als Schafe so gern eigene Wege in den Vordergrund stellen mögen.
Bleiben Sie und bleibt ihr durch den einen Hirtenbehütet!
Ihre und eure Pastorin Sina Schumacher