Andacht für Sonntag Misericordias Domini, den 18. April 2021
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Andacht für Misericordias Domini, den 18. April 2021 von Lektorin Susanne Berger
Liebe Gemeinde,
erneut sind die Entwicklungen der Infektionszahlen so hoch, dass wir uns leider nicht in den Kirchräumen zum Gottesdienst zusammenfinden können.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesem „Mitnehmgottesdienst“ zumindest ein wenig der österlichen Freude nach Hause bringen kann. Dieser 2. Sonntag nach Ostern heißt Misericordias Domini und bedeutet „Barmherzigkeit des Herrn“.
„Ich bin der gute Hirte“, sagt Jesus: der zweite Sonntag nach Ostern ist der Hirtensonntag. Die Schafe kennen die Stimme des Hirten – und er sorgt für sie und lässt, wenn es nötig ist, sein Leben für die Schafe.
Ich lade Sie nun ein, machen Sie es sich gemütlich, entzünden Sie sich eine Kerze und lassen Sie uns beten:
Herr Jesus Christus,
du bist der gute Hirte,
du führst uns auf deinen Wegen
und lässt uns nicht Mangel leiden.
Von dir werden wir nicht verlassen.
Wir bitten dich:
Halte uns zusammen bei dir.
Suche die Verlorenen.
Sammle die Verstreuten,
dass am Ende dieser Zeit die Deinen geschart sind um dich,
der du mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebst
und regierst von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen
Liedauswahl:
EG 100 Wir wollen alle fröhlich sein / EG 274 Der Herr ist mein getreuer Hirt /
EG 209 Ich möcht´, dass einer mit mir geht / EG 574 Der Herr ist mein Hirte /
EG 391 Jesu geh voran
Liebe Gemeinde:
Ein langer ovaler Tisch. Orangensaft und Sprudel, schmale Gläser. Diesmal keine Dekoration. Angespannte Gesichter über modischen Krawatten. Schwarze Lederschuhe streifen nervös das feine Parkett. Der Beamer wirft Graphiken an die Wand: Rote Zahlen. Blicke wandern, die Konsequenz ist klar: Insolvenz. Die Krawattenträger fahren sich über den Hals, versuchen die Schuld von sich zu weisen. „Wir sind im Stich gelassen worden.“ Die Antwort der Presse ist hart, aber klar: „Ihr habt verpasst zu investieren.“ Sie haben ausgespielt, die Krawattenträger. Ein Insolvenzverwalter wird die Geschäfte übernehmen und das Verbliebene ordnen. Es steht dann zum Verkauf – oder wird völlig aufgegeben.
Zu Gast in einer Vorstandssitzung sind wir mit unserem heutigen Predigttext (Hesekiel/Ezechiel 34, 1-16). Über Hesekiel als Mittelsmann spricht Gott zu den versammelten Führungspersönlichkeiten seines Volkes Israel. Er redet sie als Hirten an. Ein idyllisches Bild steht mir bei diesem Wort vor Augen. Die Figur eines schlanken Mannes mit Schlapphut und markigem Gesicht – vertrauenserweckend, gütig. Er lässt seine Augen besonnen über seine Herde schweifen. Er sieht die kranken Schafe und weiß, wie ihnen zu helfen ist. Er bemerkt das Verschwinden jedes kleinen Lämmleins und holt es wieder herbei. Die Schafe hören auf seine Stimme. Sie erkennen ihn. Ein Pfiff genügt und die Verständigung gelingt.
Doch es sieht trübe aus, was sich mir in Gottes Lagebericht vor Augen stellt. Israel ist verstreut in aller Herren Länder. Die Führungskräfte treffen keinerlei Anstrengungen, sie zusammen zu halten. Krank liegt das Volk mit offenen Wunden. Erstaunlicherweise schaffen die Hirten es, ihren Gewinn aus den Schafen zu ziehen. Sie weiden sich selbst, sagt Gott über sie. Klar müssen sie auch von etwas leben und dazu ist die Herde da – sie muss Wolle, Milch und Fleisch liefern. Jedes Volk muss seine Führungskräfte mitversorgen. Doch wie kann man
sich als Hirte im Anblick einer geschundenen Herde weiden.
Gott sagt es ihnen auf den Kopf zu: Ich sehe, was ihr da macht. Ich weiß sehr wohl, wie es meinen Schafen mit euch geht. Ich kann es euch genau sagen. Ihr weidet euch selbst. Solltet ihr nicht die Herde weiden? Und dann zieht Gott seine Konsequenzen. Die Hirten bekommen keine Bedenkzeit. Sie müssen nicht versuchen, die Sache selbst wieder zu richten.
Nein, sie bekommen einen Vermerk: Den kw – Vermerk. Kennen Sie das, wenn Sie Ihren Kleiderschrank aufräumen? Hosen, Pullover oder T-Shirts, die sie eine Ewigkeit schon von rechts nach links räumen? Heute bekommen sie den kw-Vermerk. „kw“ = kann weg. Für diese Klamotten gibt es keine Verwendung mehr. Sie nehmen nur Platz weg.
Und so auch die Hirten Israels. KW – sie können weg. Gott hat für sie keine Verwendung mehr. Für sein Volk ist gerade etwas anderes dran. Das können diese Hirten nicht leisten. Damit sind sie ihres Amts enthoben und keine Hirten mehr.
Und nun? Gibt Gott eine universale Stellenausschreibung heraus? Sucht er bessere Hirten in seiner verstreuten Herde? Ich übersetze die mögliche Ausschreibung mal auf Neudeutsch: Wir suchen den Chef, der alle Lehrlinge übernimmt, allen Urlaub und krankheitsbedingten Ausfall bezahlt, seine Mitarbeiter besucht, ehemalige Angestellte unterstützt, teure Ärzte bezahlt und regelmäßig Sprechzeiten für seine Mitarbeiter anbietet.
Die Unternehmer unter Ihnen dürfen ruhig vehement mit dem Kopf schütteln – das ist nicht leistbar. Da geht die Firma bankrott oder der Chef k.O. und das tut den Mitarbeitern auch nicht gut. Was die Hirten Israels nicht leisten können, das können andere an ihrer Stelle auch nicht tun.
Eine Mutter kleiner Kinder dürfte jetzt sagen: „Moment! Was Gott da bei seinen Hirten vermisst, ist für mich Selbstverständlichkeit. Ich kann gar nicht anders: Ich muss mein Kind pflegen, wenn es krank ist. Ich muss Wunden verbinden und sacht das „Heile, heile Segen“ drüber pusten. Ich muss es auf seinen Wegen begleiten, dass es sich nicht fürchtet. Mein Herz lässt in keinem Fall etwas anderes zu.“ Ja, das kann die Mutter sagen. Und damit verweist sie uns auf die aufopferungsvolle Beziehung, die Gott sich für seine Herde wünscht. Sie sollen umsorgt sein wie von einer Mutter.
In unserem Text gibt es von Gottes Seite aus keine Stellenausschreibung. Er ruft kein universales Bewerbungsverfahren aus. Wer wollte sich darauf bewerben? Gott setzt keine Hirtenwahl an. Er fordert von seinen Menschen nicht das Unerfüllbare. Keiner muss sich unsicher auf diesen Amtssitz begeben, in der Gewissheit, doch nicht allen Ansprüchen zu genügen. Keiner muss die Mutterrolle übernehmen für etwas, dass ihm nicht gehört. Der Hirtenstuhl über Gottes Volk bleibt vakant – aus Hesekiels Perspektive bleibt er auf unbestimmte Zeit vakant.
Gott nimmt die Geschäfte in die Hand. Und er verwaltet nicht nur, was
übriggeblieben ist. Er bereitet es nicht für den Verkauf vor oder dafür, dass es aufgegeben wird. Er ist kein Insolvenzverwalter. Er übernimmt die Sache ganz und er macht sie so, wie er sie sich für seine Herde, sein Volk Israel, vorstellt. Ganz mütterlich oder väterlich will er sich seinen Schafen zuwenden. Die, die eindeutig zu kurz gekommen sind, auf die fällt nun das Hauptaugenmerk. Sie müssen nicht einzeln antreten. Sie müssen sich nicht auf einen mühsamen Weg zu ihrem Heil begeben. Gott will ihnen nachgehen. Er will jedes einzeln zusammen sammeln.
So erklärt Gott es seinen entlassenen Hirten und ich will versuchen, es in unsere Zeit zu übersetzen. Da ist eine Mittvierzigerin, die sich wegen Mobbing nicht mehr an den Arbeitsplatz wagt. Gott weiß um sie und er geht ihr nach. Er fragt nach ihr. Er spricht sie an. Er streckt seine heilende Hand aus, um wieder Ruhe in ihr flatteriges Herz zu bringen. Er verändert ihre Lebensbedingungen, so dass sie aufatmen kann. Vielleicht bekommt sie eine neue Arbeitsstelle, vielleicht stellt sich ihr ein Arbeitskollege zur Seite oder vielleicht bekommt sie den Witz, um den Spitzen ihrer Kollegen entgegen treten zu können. Gott hat so viele Wege. In seiner Herde, in seinem Volk und in seiner Gemeinde gibt es Platz für diese Frau. Im Bild des Textes gesprochen: Die kargen Wiesen der Berge Israels werden zur fetten Weide.
Der Lehrling, der nicht übernommen werden konnte und darum wegziehen musste, um einen Arbeitsplatz zu bekommen. Gott weiß um ihn und geht ihm nach. Er steht für ihn ein. Er adelt seine Herkunft. Er verschafft ihm neu Heimat. Vielleicht muss er nicht lange in der Fremde bleiben, vielleicht findet er gute Freunde, vielleicht zieht jemand aus der Heimat mit. Der junge Mann wird nicht allein bleiben. Auch für ihn gibt es einen Platz in Gottes Herde. Die kargen Berge Israels werden zur fetten Weide.
Der Mittzwanziger, der sein Studium nicht mehr finanzieren kann (oder dessen Uni geschlossen wurde oder der die Studiengebühren nicht aufbringen kann). Er soll bei Gott nicht in der Schwebe hängen bleiben. Er soll einen Platz bekommen, eine Aufgabe, Lebensunterhalt. Vielleicht kann er sein Studium woanders beenden, vielleicht bekommt er eine Stelle angeboten, vielleicht gelingt doch die Finanzierung des Studiums. Er wird nicht ohne Platz bleiben in Gottes Herde. Die kargen Berge Israels werden zur fetten Weide.
Trübe Zeiten waren es, in denen Gott durch Hesekiel zum Führungstreffen rief. Trübe Analysen, die er seinen Führungskräften von Hesekiel vorrechnen lässt. Harte
Konsequenzen, die er zieht. Und dann sind es verheißungsvolle Aussichten, die er vor den eben erst entlassenen Führungskräften aufblättert.
Warum weiht er sie ein, in seine Pläne? Warum agiert er nicht einfach ohne Vorankündigung? Warum setzt er nicht sofort einen neuen Hirten ein? Die Rede, die Gott hier beginnt, geht noch hochinteressant weiter, besonders bezüglich des neuen, guten Hirten und der Strafe für die schlechten Hirten. Das empfehle ich Ihnen unbedingt zur Sonntagnachmittagslektüre! In unserem Textabschnitt, dem Beginn der Rede, wirft Gott uns völlig zurück auf das Vertrauen in ihn. Sowohl die Führungskräfte Israels als auch die Herde, als auch wir bekommen gesagt: Verlasst euch auf mich. Ich bin es. Ich bin euer Gott. Ihr seid meine Herde. Ich will und ich werde…
Begeben wir uns noch einmal an den ovalen Tisch. Die Saftflaschen sind fast leer. Die schmalen Gläser benutzt. Das Parkett matt unter den schwarzledernen Schuhen. Der Geschäftsinhaber verkündet, dass er alle Führungskräfte ihrer Ämter entheben muss. Er selbst wird die Geschäftsführung übernehmen. Er wird sich erfolgreich um die Sache kümmern können. Und dann Entrüstung? Nein, für dieses Mal atmen alle erleichtert auf. Unsere Krawattenträger applaudieren. Sie streichen sich über den Hals und werfen sich rege Blicke zu. Gut, dass das keiner von ihnen leisten muss. Gut davongekommen. Gut gelöst – vielen Dank, Gott!
Amen
Wie beten:
Du guter Hirte, Jesus Christus.
Bei dir ist kein Mangel.
Du bist da.
Du mahnst.
Du liebst.
Du rettest.
Gehe denen hinterher und rette,
die sich verloren haben.
Gehe denen hinterher und beschütze,
die in Angst vergehen.
Gehe denen hinterher und hole zurück,
die dem Tod entgegengehen.
Du guter Hirte, Jesus Christus – erbarme dich.
Nimm auf deine Schulter die,
die trauern und tröste sie.
Nimm auf deine Schulter die,
die sich nicht beirren lassen und Gutes tun.
Nimm auf deine Schulter die,
die anderen beistehen und sie pflegen.
Du guter Hirte, Jesus Christus – erbarme dich.
Sprich und verwandele die Herzen,
damit Frieden wird.
Sprich und rühre die Gewissen an,
damit die Hungernden satt werden.
Sprich und mahne zur Gerechtigkeit,
damit auch die Armen geimpft werden.
Du guter Hirte, Jesus Christus – erbarme dich.
Deine Liebe,
deine Barmherzigkeit,
dein Treue
teile aus
unter uns aus und unseren Kindern,
bei allen, die uns verbunden sind – nah und fern.
Dir vertrauen wir uns an – du guter Hirte, Jesus Christus.
Amen.
Gehen Sie nun mit dem „Vater unser“ wohlbehütet in diesen Sonntag und die kommende Woche. Der Herr segne Dich und behüte Dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über Dir und sei Dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über Dich und gebe Dir Frieden.
Bleiben Sie schön gesund! Ihre Lektorin Susanne Berger