Dialogpredigt zum Thema Wahrheit
Die Dialogpredigt zum Gottesdienst am 6.11.2011 „Wahrheit“
A: Sag mal, wie sind wir eigentlich auf dieses Thema gekommen, „Wahrheit“? Mir kommt das jetzt ganz schön abstrakt vor.
B: Na, erinnere Dich an unsere Treffen in den vergangenen Wochen. Da haben wir nach aktuellen Themen gesucht. Und eins davon war dann „Wahrheit“- nach all den Lügenskandalen, die durch die Medien gingen.
A: Stimmt, jetzt erinnere ich mich wieder. Wir haben angefangen, als gerade die Sache mit Strauß-Kahn durch die Medien ging. Da wusste man ja gar nicht, wem man glauben sollte. Erst konnte einem das Zimmermädchen leidtun. Und dann war sie anscheinend auch nicht ohne Berechnung.
B: Und so ähnlich war es bei Kachelmann auch. Nur dass ihm wirklich der Prozess gemacht worden ist. Und der zog sich reichlich lange hin. Dass er am Ende freigesprochen wurde, hätte ich am Anfang nicht für möglich gehalten.
A: Manchmal habe ich mich fremd geschämt. Ob alles das, was da ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde, wirklich dahin gehörte, das frage ich mich.
B: Dann war da noch die Sache mit von Guttenberg und seiner abgeschriebenen Doktorarbeit.
A: Und auf einmal standen noch viele andere im Verdacht, abgeschrieben zu haben. Einige haben ja auch ihren Doktortitel verloren. Frau Koch-Mehrin z.B., die Europaabgeordnete.
B: Das hätte ich bald vergessen.
A: Solche Dinge geraten auch schnell in Vergessenheit. Vielleicht sollte man froh darüber sein. Für uns waren all diese Dinge jedenfalls der Anlass, mal grundsätzlich darüber nachzudenken, was es heißt, die Wahrheit zu sagen.
B: Und auch darüber, was wir von denen erwarten, die öffentlich das Wort führen. Ich denke, wir waren uns einig, dass wir uns wünschen, dass Leute, die Verantwortung tragen, sich wahrhaftig äußern sollen. So, dass man sich auf ihr Wort verlassen kann.
A: Weißt Du, was mir dazu einfällt? Wenn Du von „Sich-Verlassen können“ sprichst, dann heiß das ja, dass mit jedem Wort, dass einer spricht, eine Beziehung gesponnen wird. Und wo dieses Wort nicht wahr ist, da wird Vertrauen zerstört.
B: Vielleicht ist deshalb die Empörung über all die Skandale in der letzten Zeit so groß gewesen.
A: Ja, und doch sind sie auch wieder schnell vergessen. Doch es bleibt unsere Frage: Wie können wir die Wahrheit sagen? Wie können wir wahrhaftig miteinander umgehen?
B: Mich haben die Beispiele sehr berührt, die wir gehört haben. Von dem älteren Ehepaar, die beide davon wussten, dass der Mann sterbenskrank war. Und sie wollten einander schonen, um diese letzte Zeit intensiv miteinander leben zu können. Oder von dem Jungen, der seine alkohol-kranke Mutter schützt. Da merkt man wieder, wie sehr die Beziehung zum anderen Menschen und das Vertrauen, das geschützt werden soll, bei diesem Thema eine Rolle spielen.
A: Mir fällt dazu einer der Bibelverse ein, die wir zum Thema herausgesucht haben: „Wer unvorsichtig heraus fährt mit Worten, sticht wie ein Schwert; aber die Zunge der Weisen bringt Heilung.“ (Sprüche 12, 18)
B: Ja, ich erinnere mich. Das heißt doch: es kommt beim Thema Wahrheit nicht nur auf das an, was ich sage, sondern wie ich es sage.
A: Und ich glaube, es kommt auch auf den Ort an, wo ich etwas sage. Es ist ja etwas anderes, ob ich unter vier Augen mit einem Menschen spreche und dabei auch ansprechen kann, was mir sonst schwer fällt. Oder ob ich öffentlich rede.
B: Der richtige Zeitpunkt spielt auch eine Rolle. Zwischen Tür und Angel kann ich keine tief gehenden Themen ansprechen. Matthias Claudius hat geschrieben: „Sage nicht alles, was Du weißt, aber wisse immer, was Du sagst.“
A: Je länger wir hier miteinander reden, umso klarer wird mir: Die Wahrheit ist nie abstrakt, sondern immer konkret. Konkret in der Beziehung, die sie stiftet. Wahrhaftig sein, das hat ganz viel zu tun damit, sich vertrauensvoll auf das Wort eines anderen verlassen zu können.
B: Wie passt das zu dem, was Jesus über die Wahrheit gesagt hat?
A: Was meinst du?
B: Einmal hat er gesagt: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Johannes 8,32) und ein anderes Mal: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ ( Johannes 14,6)
A: Ich verstehe das so: Die Wahrheit erkennen, auch über meine eigenen Stärken und Schwächen, kann ich da, wo ich mich den Worten Jesus öffne und auf ihn höre. Und das zweite, dass Jesus die Wahrheit ist, das kann ich so verstehen: Er ist der, der unbedingtes Vertrauen verdient. Er ist der, auf den wir uns ganz und gar verlassen können. Und er ist auch der, dem wir nichts vormachen können -und nichts vormachen müssen.
B: Und in der Bergpredigt hat er gesagt: „Eure Rede sei ja, ja, nein, nein, was darüber ist, ist von Übel.“
A: Da ging es ihm auch um das Verbot, zu Schwören. Vielleicht heißt das auch, das wir manchmal eher sparsam sein sollten mit unseren Worten. Das es wahrhaftig sein kann, einfach auch mal zu schweigen.
B: Mir fällt dazu die Geschichte von den drei Sieben wieder ein. Soll ich sie hier noch mal erzählen?
A: Ja, mach doch.
B: Zum weisen Sokrates kam jemand voll Aufregung gelaufen. „Höre, Sokrates, das muss ich dir erzählen: Dein Freund…“ „Halt ein!“, unterbrach ihn der Weise, „ hast du, was du mir erzählen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“ „Drei Siebe?“ fragte der andere. „Ja, drei Siebe! Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du geprüft, ob auch wirklich wahr ist, was du mir erzählen willst?“ „Nein, ich hörte es jemanden erzählen.“ „So, so! Das zweite ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst, wenigstens gut?“ Zögernd sagte der andere: „Nein, das eigentlich nicht, im Gegenteil…“ „Hm“, unterbrach ihn Sokrates, „So lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden: Ist es notwendig, mir das zu erzählen, was dich so erregt?“ „Notwendig nun gerade nicht…“ „Also,“ lächelte der weise Sokrates, „wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr noch gut noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“